Martinskirche, Kirchheim unter Teck
Claviorganum William Jurgenson 1986/1993
Weihnachtstraum
Capriccio
Schwäbische Leich
Cembalo allein
Das alte Jahr vergangen ist
Dies ist die Nacht, da mir erschienen
Hilf, Herr Jesu, lass gelingen
Meinen Jesus lass ich nicht
Cembalo Solo
Claviorgie
Technische Daten
Als 1983 die große Orgel in der Martinkirche Kirchheim unter Teck nach sechzehn Jahren Bauzeit endlich fertiggestellt und eingeweiht war, konnte der Ökumenische Förderverein Kirchenmusik daran denken, auch für eine eigene Truhenorgel zu sparen. Bei Aufführungen mit Generalbassmusik musste immer eine Begleitorgel ausgeliehen werden. Innerhalb von sechs Jahren wurde das Projekt verwirklicht. Die Martinskirche hatte nun, wie alle großen Konzertkirchen, ihr eigenes transportables Begleitinstrument. Für evangelische und katholische Gemeinden bei Kirchheim ist die Ausleihe frei. Entferntere Kirchen müssen eine Leihgebühr bezahlen. Trotzdem wurde das Instrument oft angefordert und war manchmal in Stuttgart mehr zu hören als in Kirchheim. Die vielen Transporte sind ihm aber schlecht bekommen. Nicht nur einmal wurden Pfeifen beim Anpassen der Stimmung beschädigt. Der spektakulärste Zwischenfall ereignete sich beim Transport nach Dresden: Aus der Halterung gerissen und auf die Autobahn geschleudert.
Der Förderverein hat immer dafür gesorgt, dass die Orgel gut instandgehalten wurde. Heute kümmert sich der Freundeskreis Kirchenmusik an der Martinskirche Kirchheim um das Instrument.
Ein Cembalo wird in der Kirchenmusik in den allermeisten Fällen für den Generalbass (Continuo) gebraucht. Dazu musste man in Kirchheim immer Instrumente von privater Seite ausleihen. Unhaltbar auf die Dauer! Deshalb sollte die Kirchenmusik an der Martinskirche neben der Truhenorgel auch ein eigenes Cembalo bekommen. Ein sogenanntes Continuocembalo, also besonders geeignet für den Generalbass. Ein solches Instrument muss einfach zu transportieren sein, und sowohl ein fülliges als auch ein durchsichtigeres Register haben. Damit war die Bauweise klar: Einmanualig mit zwei Registern. Weil William Jurgenson, der die Truhenorgel in höchster Qualität geliefert hatte, vor allem als genialer Cembalobauer bekannt war, ergab sich die seltene Chance, das Cembalo mit der Truhenorgel als Claviorganum zu „verheiraten“. So war technische und musikalische Übereinstimmung garantiert.
Abermals sorgte der ökumenische Verein für das Gelingen. Als Standort für das Cembalo bot sich das geräumige Büro des katholischen Dekanatsmusikers an.
Bei der Auswahl des Orgelbauers hatte der ökumenische Förderverein Kirchenmusik freie Hand. Er holte sich von verschiedenen Orgelbauern, die Erfahrung mit Truhenorgeln hatten, Angebote ein und entschied sich für William Jurgenson, der mit Friedrich Lieb aus Bietigheim zusammen das Instrument erbaute. Die Transportlafette wurde von den Vereinsmitgliedern Hans Rapp+ und Gerhard Winkler+ angefertigt. 1917 wurde das Instrument von Friedrich Lieb überholt. Dabei wurden die beiden Metallregister (8‘ und 2‘) mit Stimmringen versehen. Jetzt kann, je nach Verwendungszweck, die ganze Orgel umgestimmt werden, ohne dass Pfeifen Schaden leiden.
Für die Verwendung als Claviorganum konstruierte William Jurgenson eine Hilfsklaviatur, die anstelle des Deckels der Orgel aufgesetzt wird. Das Cembalo wird daraufgestellt. Eine ausgeklügelte Mechanik ermöglicht das gemeinsame Spiel von Cembalo und Orgel.
Standort an der Stirnwand des Mittelschiffs in der Martinskirche Kirchheim.
Zum Transport im Auto lässt sich die Truhe in Ober- und Unterteil trennen. Unten ist Platz für Gebläse und Schöpfbalg, oben liegt die Windlade mit den Pfeifen. Von außen zu sehen sind allerdings nur wenige – aus Holz. An der Schauseite prangen zwei rote Halbkreise, über welche sich je fünf blaue Finger strahlenförmig strecken. Kleine Unregelmäßigkeiten halten die Darstellung lebendig. Die künstlerische Gestaltung des Gehäuses wurde von Heinrich Knopf konzipiert. Eiserne Beschläge ermöglichen den Transport. Ein Stab zeigt die Luftreserve an. Die Schleifen werden durch eiserne, handgeschmiedete Registerschwerter betätigt.
Rohrgedeckt 8 Fuß und Holzprincipal 4 Fuß lassen sich von oben her stimmen. Dagegen waren Principal 8 Fuß und das 2-Fuß-Register fest auf heutige Normaltonhöhe eingestimmt, allerdings in mitteltöniger Temperatur. Heute ist die ganze Orgel so gestimmt, dass sie universell einsetzbar ist.
Am Cembalo fällt die rechteckige „Rosette“ auf. Ihr Urheber ist wiederum Heinrich Knopf.
Zum Cembalo gehört ein formschönes Gestell, das auseinandergeschraubt leicht zu transportieren ist. Beim Claviorganum genügt ein verstellbarer Fuß für den ausladenden „Kielflügel“.
Spieltisch hinterspielig, Manualumfang C (ohne Cis) – d’’. Kann um einen Halbton tiefer transponiert werden. Notenpult flachliegend aus Eichenholz. Breite 720 mm, Höhe 230 mm, Tiefe 80 mm, Neigung 37°. Handgeschmiedete Registerschwerter rechts durch Schlitze der Abdeckplatte führend. Keine Registerschilder, weder Nummern noch Registernamen. Anschlusskabel auf der Unterseite in Steckdose fixiert.
Die Klaviatur des Cembalos kann, wie die der Orgel, zum Transponieren um einen Halbton nach unten gerückt werden. Als Hochsitz dient ein Barhocker vom türkischen Restaurant „Zum Scharfen Eck“.
Spieltraktur Orgel
Manual
Einschenklige Tasten, Stecher ohne Wellenbrett. Oktavmaß: 164 mm.
Tastenfall: 8 mm. Obertasten einsinken: 5 mm. Tastendruck: 50 g.
Tastenbreite: C, D 23 mm, E 22,7 mm, G 22,8 mm, A 22,9 mm, H 22,7 mm,
H 22,9 mm.
Tastenbelag: Untertasten Knochen, Obertasten Mooreiche massiv.
Tastenlänge: Untertasten 106 mm, Obertasten 61 mm.
Zwischenräume Obertasten: cis-dis 16,64 mm, fis-gis 13,06 mm, gis-ais 15,9 mm,
ais-cis 30,2 mm, dis -fis 30,7 mm.
Spieltraktur Cembalo
Im Vergleich zur Orgel ist die Spieltraktur eines Cembalos sehr einfach – bis auf die sogenannten Springer. Dort wird der Kiel mit einer Feder zur Saite gedrückt, nicht zu stark und nicht zu schwach. Beim Verlassen der Taste muss der Kiel der Saite ja wieder ausweichen, so schnell wie möglich. Dann erst kann der Ton wiederholt werden. Bill Jurgenson verwendet anstelle von Stahlfedern PEEK (Polyetheretherketon), eine Kunstfaser. Deren Federeigenschaften gleichen weitgehend denen einer Schweinsborste. Diese war in früheren Jahrhunderten üblich.
Beide drücken über einen weiten Bereich der Biegung immer mit derselben Federkraft.
Registertraktur Orgel
Handgeschmiedete Registerschwerter als Wippe.
Registertraktur Cembalo
Zum Einschalten eines Cembaloregisters wird der Springerrechen zur Saite hin gedrückt.
Gebläse in geschlossenem Sockel
Motordaten: Aug. Laukhuff-Weikersheim, Ventola, wartungsfrei.
Keilbalg mit Rollventil.
Windkanal: Holz, Kondukten Zinnlegierung
Winddruck: 57,4 mm WS an Pfeifenloch von Rohrgedeckt 8’ h°.
Schleiflade, liegende Schwanzventile, Holzschleifen.
Gesamtpfeifenzahl 177, davon 100 Holzfpeifen
MANUAL | ||
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Koppel | 8′ | Halbgedeckt, durchbohrte Spunddeckel. Große Oktave gedeckt, marokkanische Zeder, Kerne Weide. |
Principal (ab c‘) | 8′ | Blei mit 3% Zinn, gehämmert, ausgedünnt. |
Flaut | 4′ | Offen, große Oktave halbgedeckt und gedeckt, marokkanische Zeder, Kerne Weide |
Oktav | 2′ | Blei mit 3% Zinn, gehämmert, ausgedünnt. |
Saitenwerk Cembalo Ein Saitenpaar, zwei Reihen Springer. Das ist die Regel. Unser Kirchheimer Cembalo aber wartet noch mit einer dritten Reihe auf (rechts im Bild). Gezupft wird an derselben Saite wie ganz links. Der Anrisspunkt liegt aber viel weiter weg vom Steg. Da klingt es grundtöniger. Zwei völlig verschiedenen Klangfarben von nur einer Saite! Wenn nun beide Rechen auf Spielen gestellt sind, wird die besagte Saite von zwei Kielen gleichzeitig angerissen – mit dem überraschenden Effekt, dass beide Klangfarben hervorgebracht werden, näselnd schlank, sowie auch grundtönig, als ob nicht eine, sondern zwei Saiten erklängen. Unter sage und schreibe sieben Klangfarben kann der Spieler nun auswählen. Generalbass und Claviorganum verlangen ja nach solcher Vielfalt. Das Cembalo ist dabei so leicht geblieben, wie es als transportables Instrument unbedingt sein muss. Das Prinzip der doppelt angerissenen Saiten ist schon ab dem 16. Jahrhundert nachgewiesen, geriet dann aber wieder in Vergessenheit. William Jurgenson hat als einer der ersten, wenn nicht als allererster, diese intelligente Bauweise wieder aufgegriffen.
Stimmung
Absolute Tonhöhe 437,8 bei 15,2 ° Celsius, 983,7 hPa (1034 hPa auf NN) atmosphärischem Luftdruck, 56,1 % relat. Feuchtigkeit. Stimmsystem variabel.
Schallpegel
Aus 5 m Entfernung gemessen
Ruhepegel 31 dBA, Gebläse 33,5 dBA, Geringste Lautstärke 64 dBA
Größte Lautstärke 76,4 dBA.
Alleinstellungsmerkmale:
Einzige Truhenorgel unter Teck.
Das Continuocembalo ist mit PEEK Federn und doppelt angerissenen Saiten in Deutschland einmalig.
Ein Claviorganum, dazu noch in ökumenischer Funktion, ist weltweit mehr als selten.
Medien:
Schriftenreihe des Stadtarchivs Kirchheim unter Teck, Band 36:
Ernst Leuze und Wolfgang Znaimer
Orgeln unter Teck (Seite 257)
YouTube:
Ralf Sach spielt Johann Pachelbel (1653-1706)
Chiacona D-Dur aus „Hexachordum Apollinis“
Kontakt
Adresse Pfarramt:
Evangelisches Dekanatamt
Widerholtplatz 4
Sekretariat: 07021-9203021
gemeindebüro@evki-kirchheim.de
Stadtkirchengemeinde Martinskirche
Adresse Kirchenmusik:
Evangelisches Bezirkskantorat
Alleenstraße 116
73230 Kirchheim u. Teck
Tel.: 07021-937377
Mail: r.sach@evki-kirchheim.de
Adresse der Kirche:
Martinskirche
Widerholtplatz 6
73230 Kirchheim unter Teck
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