Glossen

Vorsicht Glosse

Wowidilo, schon einmal gehört? Oder wenigstens gelesen.
Das Wortungetüm treibt sich seit 2005 schon in den Kirchen herum. Es erscheint auf Liedzetteln und bleckt Organisten an. Da haben’s unsere Katholiken einfacher:
Sie brauchen kein Golo; Gotteslob ist gerade noch griffig genug. Doch bei „Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder plus“ sehen wir ein Titelmonster, dem selbst die Abkürzung gekürzt werden muss. Wowidilowaneuliplu, das ginge nur noch Kabarettisten unverstolpert über die Lippen. Also belassen wir es bei der Version „light“ Wowidilo.
Ich gebe zu, Beiheft, Anhang, Neue Lieder, oder wie die Ergänzungsliederbücher zum Kirchengesangbuch alle hießen, das reißt heute niemand mehr vom Hocker. Dass aber das Florilegium seligen Angedenkens einmal solche Blüten treiben könnte…
Wachsen kann ja vieles: Glaube Liebe Erkenntnis Weisheit. Kirchensteuereinnahmen und Gottesdienstbesuch gehören eher zum beschönigenden Negativwachstum. Doch Lieder wachsen nicht, sie entstehen, werden erfunden, gedichtet, komponiert ob mit Lob, Lobpreis gar oder anderen christlichen Tugenden gedüngt, um im Bild zu bleiben. Eine Doktorarbeit über die Namen von Liederbüchern ist überfällig.
Doch lassen wir das! Kürzlich rief ein Kollege an und berichtete ziemlich fassungslos von einem Horrorerlebnis mit dem Wowidilo. Als altgedienter Organist, wie ich, hörte er beim Begleiten auf die Gemeinde. Was vernahm er da?
Pa ta ta wa pa oder so ähnlich, wie ein gestottertes Wowidilo. Ein hilfloses Gestolper über Synkopen. Gerne pflichtete ich ihm bei, hatte es mich Wochen zuvor ja noch schlimmer erwischt. Es war im Hauptgottesdienst einer Stadtkirche mit einer „Pfaza“. Von vier Liedern zwei Wowodilos! Brav spielte ich die Melodien vor und legte los, doch „Koe Sau“ – Pardon, das lässt sich treffend nur auf schwäbisch sagen – also niemand sang mit. Wenig später in einer Dorfkirche: Gewitzt fragte ich vorher, ob denn das Wowidilo der Gemeinde überhaupt bekannt sei. Dreimal schon gesungen, war die beruhigende Antwort.
Und tatsächlich: Durch alle vier Verse schallte es von der Gemeinde her so begeistert, wie wenn sie hätte „Gosowibilo“ singen dürfen. Doch WowidilowaneuLiplu ist als Passwort im Internet doch noch sicherer.

Wowidilo

Schon mitten in der Woche bekomme ich per Mail die Lieder für den Sonntag mitgeteilt. Diesmal suchte ich vergeblich. Kein Problem, sage ich mir, du kannst doch alle Gesangbuchlieder vor und zurück auswendig. Am Sonntagmorgen schrieb ich dann von der Liedertafel ab und schlug vorsichtshalber die Nummern im Gesangbuch auf. Bei Nr. 51 wurde ich stutzig: Ein Weihnachtslied mitten im Sommer? Was hat sich der Lektor da bloß gedacht? Ich frage ihn – er fragt zurück: Haben Sie denn das richtige Liederbuch? Ich hielt ein Großdruck-EG in der Hand, er wedelte mit dem Wodiwilo. Da fiel bei mir der Groschen. Mein verunsicherter Blick auf die Liedertafel sah vor der zweiten und dritten Nummer ein merkwürdiges blaurotes Schildchen, wahrscheinlich das Titelbild von „Wo wir dich loben …“.
Beschämt und aufgeregt schlich ich zur Orgel. Kenne ich die Lieder überhaupt? Unsicher schlug ich auf: „Herr, ich komme zu dir“ Glück gehabt, das kenn ich doch. „Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben“ – ebenso. Entsprechend erleichtert und beschwingt gelang mir das Vorspiel. Nach der Schriftlesung meine Intonation mit erhobenem Zeigefinger: Singt bitte kräftig mit – ich kenne die Melodie! Es wäre überhaupt nicht nötig gewesen. Vom ersten Ton an schallte es kräftig und zügig durch die Kirche. Dasselbe nach der Predigt. Erst bei der Segensstrophe, die ich durch die Ansage erfuhr, geriet ich wieder in die Untiefen des Gesangbuches. Da drohten ernsthafte rhythmische Konflikte. Die Bitte „Verleih uns Frieden gnädiglich“ musste mir persönlich gelten. Denn ich konnte es ja nur falsch machen: Spielte ich die Notenwerte des Gesangbuches, würde ich in einen rechthaberischen Konflikt mit der singenden Gemeinde geraten. Nach dem Prinzip “Glernt isch glernt!“ wird die altüberlieferte Melodie mit einer Halben Note begonnen. Schwenke ich darauf ein, versündige ich mich am offiziellen Notentext… Da sehnte ich mich plötzlich nach den vertrackten Synkopen des Wowidilo. Tja!

Hochzeitskanon

Und wieder einmal Hochzeit… Inzwischen für Organisten nicht mehr business as usual, wie früher. Heutzutage werden die Musikwünsche mehr von Hochzeitsportalen im Internet bestimmt als von den persönlichen Vorlieben der Heiratenden. Da darf der Canon D-Dur von Pachelbel nicht fehlen und die „Ode an die Freude“ von Friedrich von Beethoven. Doch die Noten? Im Falle Pachelbel kein Problem. Im Netz gibt es für jeden Schwierigkeitsgrad annehmbare Bearbeitungen. Dabei ist es schon merkwürdig, dass ein so ausbebufft artifizielles Stück in strengstem dreifachen Kanon für drei obligate Violinen und Basso continuo ausgerechnet in der Fassung für Tasteninstrument Kult wurde.
Schlimmer geht’s ja nicht mehr. Bei der Ode an die Freude ist es nicht viel besser. Der Schluss, beim Original in weiter sinfonischer Ferne, ist eine einzige Verlegenheit. Im Radio kann man es um Mitternacht jeden Tag hören. Aber nein, der Schluss interessiert bei Trauungen doch längst nicht mehr. Da ist das Brautpaar schon längst durchs Kirchenportal geflohen. Der Organist mag dann sehen, mit welchen banalen Wendungen er sich aus der Affäre zieht. Zum Glück gibt es ja noch das Keyboard, das man uns lieber nicht anvertraut. Da kommt dann endlich jene Musik zum Zug, die der Hochzeitsgesellschaft vom täglichen Radio Gedudel her vertraut ist. Deshalb wird auch immer heftig Beifall geklatscht. Wir Organisten sind eigentlich überflüssig, halt gerade noch geduldet, weil wir bei „Gras und Ufer“ ein bisschen begleiten sollen.

P.S.: Gerade bekam ich den Auftrag, bei einer Trauerfeier den Pachelbel-Canon in einer Pop-Version zu spielen. Noten im Internet. Ich solle es mir bei Youtube anhören. Der Pop_Pianist zelebriert es auf einem E-Piano, und ich zucke bei jeder unerträglichen Quintparallele zusammen.
Muss ich die auch spielen??

Die Traufe

Wenn bei einer kirchlichen Trauung gleich noch die Kinder des Paares getauft werden sollen, nennt sich das im kirchlichen Jargon „Traufe“. Honi soit, qui mal y pense! In die Traufe kommt man ja sonst nur vom Regen. Wie eine Hochzeitsgesellschaft beide Wortbedeutungen in eine innige Verbindung brachte, hat sich so zugetragen: Weil die Sippe oft und gerne sang, und einen Möchtegernkeyboarder in ihren Reihen hatte, sollte das symbolträchtige „O happy Day“ zelebriert werden, von der ganzen Gesellschaft. Auf englisch gesungen stört der „Dschiesas“ ja nicht weiter. Wer möchte bei einer Hochzeit auch schon an das ewige Leben denken. Es geht doch um ewige Liebe und den Himmel auf Erden.
So weit, so schlecht, musste sich alsbald der Keyboarder eingestehen, als er sein Instrument in Stellung bringen wollte. Wo, ums Himmels Willen, ist das Anschlusskabel? Auf die rettende Idee kam, schon im Talar, der Pfarrer. Das Keyboard in unserer Sakristei hat doch auch ein Kabel! Fünf vor zwölf, also die Hochzeitsglocken hätten schon längst beginnen müssen, zeigte sich ausgerechnet in den heiligen Hallen der Teufel im Detail. Warum wollte der vermaledeite Stecker partout nicht passen? Dann muss eben das Kirchenkeyboard her, schlug entgegenkommend der Pfarrer vor! Verzweifelt mühte sich der erleichterte Spieler, das Stativ aufzuklappen. Doch erst als der Pfarrer, der den vertrackten Mechanismus kannte, nochmal beherzt eingriff, konnte das schwere Instrument in fieberhafter Eile aufgestellt werden. Nach sehr kurzem Soundcheck hatte es zu regnen begonnen. Wie gerne kamen da die Brautleute vom Regen in die Traufe.

Vertrauen ist gut

Da bereitet man sich jeden Sonntag als Organist auf den Gottesdienst vor, ist zeitig vor Ort und probiert die Stücke in der noch leeren Kirche. Die Finger laufen wie geschmiert und ganz ausgeschlafen klingt auch die Orgel. Es ist eine Freude in die Tasten zu greifen. Dann die Glocken, der Moment wo es ohne zu zaudern ans spielen geht. Doch nun Spannung statt Spielfreude, keine Ideen mehr, nur noch Pflichtbewusstsein. Enttäuscht intoniert man die ersten Lieder. Erst beim Nachspiel löst sich die Blockade, und die Freude am Spielen stellt sich nach und nach wieder ein.
Letzten Sonntag nahm ich den Handyrecorder mit in die Kirche, wollte kontrollieren, ob zu hören wäre, was ich selbst empfinde. Während des Vorspiels merke ich, dass der Aufnahmeknopf nicht gedrückt war. Dann wenigstens das Nachspiel und die Lieder nach der Predigt, beruhige ich mich – kann ja nichts schaden, den Begleitsünden auf die Schliche zu kommen: Atme ich zu wenig? Gönne ich der Gemeinde auch genügend Zeit zwischen den Versen? Halte ich die Notenwerte richtig aus? Solche Fragen bewegen mich während der Predigt. Versonnen steige ich wieder auf den Orgelbock – und das Ende vom Lied: Wieder nichts aufgenommen! Soll ich nun resignieren? Nein! Zwar bin ich froh, dass auch nach fast siebzig Jahren Organistendienst mich die Musik immer noch so fesselt. Aber nächsten Sonntag gilt nochmal: … Kontrolle ist besser.

Ein Unglück kommt selten allein

Seit Wochen rätselte ich über einem Kalendereintrag: „12 Uhr Probe“. Keine Ahnung mehr wo und wofür. Da, um 12.15 Uhr, schrillt das Telefon: „Kann ich noch mit Ihnen rechnen, ich warte in der Kirche“. Schneller als ich denken konnte, saß ich im Auto. Der Trompeter war froh, dass sein Begleiter sicherer spielte als er selbst. Jetzt konnte ja nichts mehr schiefgehen bei der Hochzeit in seiner Verwandtschaft. Anderntags plärrte das Telefon schon um 10.30 Uhr.: Haben Sie den Gottesdienst vergessen? Mein Kalender sagt, er sei um 13.30 Uhr, stottere ich, während übers Telefon die Glocken schellen. „Also, wir warten, bis Sie da sind.“ Auf der Straße dann lauter Sonntagsfahrer! Mit quietschenden Reifen hätte ich fast die Kirchenmauer gerammt. Immer noch dröhnen die Glocken. Erwartungsvoll sitzen Kinder und Eltern da. Jetzt geht’s gleich los, kräht ein vorwitziges Bürschlein. Hinterher zeige ich dem Pfarrer meinen Kalender und stammle, seinen geduldigen Anruf würde ich ihm nie vergessen. Noch immer spüre ich die Brandnarben auf meinem Kopf – von wegen der feurigen Kohlen auf meinem Haupt. Glück im Unglück! Umso schöner, wenn’s gleich doppelt kommt!

Schwäbischer Superlativ

„Net gschimpft ist gelobt gnuag“ – ein schwäbischer Grundsatz! Was wäre die Steigerung oder sogar der Superlativ? Da sind die Schwaben nicht verlegen: Arg schee ist scheener als schee! Und wenn saumäßig schee nicht mehr ausreicht, gibt es ja noch das Wort „he“. Das ging so:

Sonntagmorgen im Winter. Frühgottesdienst im Filialkirchlein. Widerwillig zwang sich der alte Organist aus den Federn. Zwar ist das Kirchlein putzig klein, die pneumatische Orgel hat nur ein einziges Manual und ihr Pedal hört schon beim c° auf. Aber gerade diese Tasten richtig zu treffen im Halbschlaf? Also einen doppelten Espresso hinuntergekippt, und los!

Ungewöhnlich munter legt der Organist los, lässt es krachen.

Eine chromatisch ausgefüllte Quarte wird zum Zündfunken; die aus Versehen registrierte Oktavkoppel verwandelt die grundtönige Orgeltante aus dem Jahr 1875 in ein brüllendes Ungeheuer. Zappelnde Füße rasen in Sechzehnteln zum Doppelpedal. Eines ergibt das andere, und der Aufruhr mit espresso doppio setzt sich fort von Lied zu Lied bis zum furiosen Nachspiel über „O Du fröhliche“.

Ziemlich erledigt wankt der alte Organist zum Auto. Die Kirchgänger sind längst im Freien und sparen nicht mit Lob und Anerkennung. Doch das beste haben sie nur ihrem Pfarrer anvertraut. Bei der Fahrt zum nächsten Gottesdienst klärt er auf: „Heut hot r d’Orgel wieder schier he gmacht“! Da ist er, der schwäbische Superlativ, sinniert der alte Organist amüsiert und weiß: Heit han es wieder amol faschd recht gmacht.

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